Sonderausgabe 2

FESTIVALS

13. Marienberger Bizarre

Gewerbegebiet Großrückerswalde, 8.-9.8.2003

 
Landschaftlich in einer der schönsten Gebiete des westlichen Erzgebirges gelegen, geizte das 13. Marienberger Bizarre auch 2003 weder mit sehenswerten Reizen am Busen der Natur, noch mit musikalischen Verlockungen, die zwischen Punkrock, Indie-Rock, Death-Metal, Gothic, EBM, Crossover, Hardcore, Skatepunk, bis hin zu Mittelalter-Metal breit gefächert waren. Der Veranstalter Alternatives Zentrum Marienberg e. V. (ehemals Kniebreche) stand für organisatorische Professionalität bis ins Detail; großes Engagement und leidenschaftlicher Einsatz aller Helfer garantierten einen reibungslosen Ablauf. Gelände, Umfeld, Versorgung, Stimmung, alles bestens, (jahrelange Erfahrungen sprachen für sich...)!

Der Freitag
Die diesjährige Bühnentaufe übernahm der lokale Death-Metal-Nachwuchs von Putrefaction, deren Sänger trotz extrem jugendlichen Alters mit stimmgewaltigen Düster-Grinds überzeugte. Auf der halbstündigen Playlist standen klanglich voll in Ordnung gehende Todesblei-Nummern wie Hellfire, Harmony, Grave oder In The Dark.

Zwar brauchten die fünf Jungsporne in Sachen Selbstbewusstsein eine kleine Aufwärmphase, aber spätestens nach zehn Minuten waren Putrefaction voll in ihrem Element, mit hohen Ansprüchen an die eigene Musik! Von brachialem Geknüppel bis hin zu getragenen Melodie-Einleitungen war das klangliche Spektrum breit gefächert, die bis zu diesem Zeitpunkt noch recht wenigen Festivalbesucher zollten den Annabergern Respekt.

Weiter ging es (nach einer extrem kurzen Umbaupause - an der die beiden Tage auch Bizarre-Chef Tom Küchler von der Band Endless mit körperlichem Groß-Einsatz beteiligt war) mit den Hermsdorfer Crossover-Mannen von Quickshot. Jan (Gesang), I.V.O (Bass), Flash (Gitarre), A-bahn (Drums) und Piet (Turntables) zelebrierten eine Mischung aus Hardcore, Rock und Hip Hop, die rhythmisch und basslastig daherkam, mit überwiegend deutschen und gelegentlich auch englischsprachigen Texten. Da sich der musikalisch nicht so tolerante Teil des Publikums in die sommerlich-heiße Abendsonne vor dem Festzelt verzogen hatte, kann man die konsequente Art, mit der Quickshot ihr leidenschaftliches Set durchzogen nur um so mehr bewundern! Songs wie Hast Du Gedacht, Jekyll & Hyde oder Can You See How versuchen Dinge zu beschreiben, ohne dem Hörer inhaltliche Diktate aufzuzwingen, denn (Zitat): ”Jeder muss seinen eigenen Weg finden”. Die in ihrer Herkunft aus den verschiedendsten Musikrichtungen stammende, 1997 gegründete Band, die bisher auf die Veröffentlichungen Sieh Dich an (2001) und Treibstoff (2003) zurückblicken kann, machte in Marienberg einen guten Job!

Ebenfalls extrem hartnäckig in Sachen Live-Durchhaltevermögen zeigten sich Unbounded. Die Torgauer / Zschopauer, die währen des gesamten Sets mehrmals mit unverschuldeten Stromausfällen zu kämpfen hatten, überspielten die technischen Probleme gekonnt mit sympathischer Lockerheit. Ihr melodischer, zum Teil gar erstaunlich dynamischer Rock wurde besonders vom Sänger mit einem enormen Energie-Aufwand umgesetzt, hier tobte der Erzgebirger Tanzbär! Kein Wunder eigentlich, haben Unbounded mit Hell Airways, Somehow Good Times Disappeared und Reviving doch mittlerweile schon drei Platten auf dem Markt und standen nach vier gewonnenen Bandwettbewerben unter anderem schon mit Beatsteaks, Brightside, Knorkator, Zombie Joe, Blind Passengers oder Harmful auf einer Bühne... Textlich drehte es sich bei den Musikern auch am 8.8. per A Place To Hide From Real Impressions, Prove That I´m Wrong oder Massity My Mind um allgemeingültige Inhalte wie zum Beispiel Alltagsflucht, Selbstüberschätzung oder die Angst vorm Älterwerden,- in Marienberg trafen Unbounded auf offene Herzen und Ohren.

Ein energetischer Faustschlag ins Gesicht waren die soundtechnisch alles umnietenden Psycho-Metaller von Shatter aus Marienberg. Nach einem unüberhörbaren Feueralarm-Intro folgte ein knochenhartes, ja geradezu gnadenlos tödliches Soundbrett, das alles wegzublasen drohte, was nicht niet- und nagelfest war... Turbogeiler Stoff, der intra-ohr-al konsumiert die heftigsten Nebenwirkungen in Sachen Headbanging und Adrenalin-Überschuss nach sich zog! Shatter wüteten dynamisch, bedrohlich und paranoid, bei lupenreinem Sound und schweißverschleudernder Stage-Performance. Wer auf Dampfhammer-Sounds Marke Sepultura steht kam hier einschränkungsfrei auf seine Fettbrett-Kosten, nicht zuletzt mit dem Sepultura-Cover Spit am Ende des Sets, auch bei dem vorangegangenen bandeigenen Material namens Hey Amerika (means: Fuck The American Way Of Life!), Hate Battery, Break The Circle oder Become Inflame zeigten die menschlichen Dampframmen mal mit schleichend lauerndem Feingefühl, mal mit kompromisslos vorandrängendem Knüppelgewitter deutlich was sie spieltechnisch draufhaben.

Gerade noch rechtzeitig (nach einer umfangreichen Serpentinen-Odyssey Richtung Marienberg) eroberten die extra aus Rostock angereisten The Crushing Caspars unter jubelndem Beifall gegen 23.20 Uhr die Bizarre-Stage um mit Information Overload, P.R. Asshole, Caspars, Remember eine gigantische HC-Rock´n´Roll-Party zu feiern. Charakterkopf Snoopy und seine Kumpels rockten wie eine ungezähmte vierköpfige Wildsau, ohne dabei die herrlich eingebundene Mimik oder die geliebten Synchron-Posings zu vernachlässigen. Neben einer amtlichen Ansage gegen immer mal wieder auf Caspars-Konzerten auftauchende ungewollte Nazis gab es mit Don´t Bring Me Down eine Song-Live-Premiere im Erzgebirge, die kaum packender hätte sein können! Nach einigen Umbesetzungen in der Band bleibt lobend zu würdigen, wie wunderbar die derzeitige Viererbesetzung mittlerweile organisch zusammengewachsen ist. (Überhaupt darf man gespannt sein, was das - noch für dieses Jahr geplante - neue Studioalbum der Rostocker an Sucht-Faktoren mit sich bringt...).

Beim Marienberger Bizarre zeigten sich The Crushing Caspars ihrer wohlverdienten Headlinerrolle mehr als würdig, die am ersten Tag insgesamt angelockten ca. 800 Festival-Gäste sprechen ohnehin eine deutliche Sprache!

Der Samstag
Das sympathische Punkrock-Liedgut der vor ca. einem Jahr gegründeten Gartenterroristen aus Annaberg brachte auch am zweiten Tag des Marienberger Bizarre gute Laune unter das Festzelt-Dach und einen wild getanzten Pogo vor die Bühne. Aufgrund eines ausgefallenen Bassisten übernahm der Gitarrist der lokalen Metal-Band Testimony (nicht zu verwechseln mit der polnischen Formation!) die Tieftönerarbeit. Auf dem 17.30 Uhr gestarteten halbstündigen Programm standen unter anderem Superstars (eine ”Hommage” an Dieter Bohlen), Happy Birthday To Us (ein Ständchen für sich selbst), eine Abhandlung übers Fernsehen und ein Musik-Erguss über die Jugend. Die gesamte Band kam locker & fluffig rüber, diese Art von Klang-Terrorismus lässt man sich gerne gefallen!

Wer glaubt, dass Formationen wie Subway To Sally oder In Extremo schon alle Bereiche in Sachen Mittelalter-Metal abgegrast hätten, der wurde mit Morgenstern eines Besseren belehrt. Die sechs Musiker aus Bad Salzungen streiften zwar einige Thematiken der oben genannten Vorbilder, betrachteten diese aber textlich aus einer oft anderen, ganz eigenen Sicht. Auch von der Instrumentierung her gibt es gravierende Unterschiede, kommen Morgenstern doch neben der üblichen Rock-Variante (Gitarre, Bass, Schlagzeug) ohne typische Mittelalter-Klangerzeuger aus (von Schalmei/Flöte einmal abgesehen). Bei Bruder Tod, Abwärts, Rausch, Inquisition, Feuer, Frei oder Im Spiegel fanden sich zwar nur wenige Tänzer, die Mehrheit der Zuschauer allerdings erlag dem Bann von Sänger Diabolicus, welcher sich in Sachen Performance als einziger in der Band richtig abstrampelte. Klanglich gab es an der Leistung seiner Mitstreiter nichts zu kritteln, aber etwas mehr Bewegung aller Musiker hätte den guten Gesamteindruck sicher gravierend verstärken können,- einer für alle, alle für einen!

KJU: aus Hannover (beim 13. Bizarre als Ersatz für Skeletor eingesprungen) hatten mit ihrem faszinierend abwechslungsreichen und magnetisch wirkendem Independent-Rock schon beim 2003er With Full Force Festival große Aufmerksamkeit erregt. An der einschlagenden Gesamtwirkung von Tobi (Vocals), Sven-Olaf (Bass), Kord (Guitar) und Peter (Drums) konnte in Marienberg selbst eine mitten im Set zerbrochene Schlagzeug-Fußmaschine nichts ändern. (Kommentar Tobi: ”Wir gucken auf den Monitoren inzwischen Sportschau!”) In regelrechter ”Andacht” lauschten die inzwischen zahlreicher gewordenen Zelt-Insassen so spektaKJU:lären Barriere-Brechern wie 14 Lines, Oxygen, The Switch, Temper, Six Fold oder Burn The Ashes. Während des gesamten 40 minütigen Programms hielten die vier Hannoveraner - wie aus einem Guss - spielerisch ein gleichbleibend hohes Niveau und machten ihren Gig so zu einem echten Marienberger Aha-Erlebnis... Ihr Longplayer namens The Pieces Fit kann somit allen zwischen Draufgängertum und Anspruch pendelnden Klang-Phantasten nur wärmstens ans Entdecker-Herz gelegt werden!

Kamikaze 52 aus der Musik-Hauptstadt Berlin, mit einer starken (mal trashigen, mal lasziven, mal divenhaften) Frau an der Front boten ebenfalls überdurchschnittliche Qualität, freakige Eigenbrödlerei, serviert als kompromissloser Intensiv-Genuss... Giftige Gitarrenriffs, griffige Samples, alles überollende Bässe und ein Schlagzeug, das ohne Mitleid den Rhythmus diktierte, wenn nicht gerade ruhigere Zwischenparts den nächsten Frontal-Angriff gekonnt verzögerten.
Teils schmeichelnd melodiös, teils dunkel-pompös, oft wohltuend unberechenbar, ohne Ausnahme bewegten sich Kamikaze 52 abseits von langweiligem Einheitsbrei. Bei unterhaltsam dargebotenem Eigenmaterial wie Love Machine, War, Hellcat, Desire, Scream For Me outeten sich die Berliner als ein schriller Paradiesvogel der deutschen Underground-Szene.

Dritte Wahl, das schon seit Jahren Punk-Metal Kultstatus besitzende Rostocker Kumpel-Trio, sorgte am Samstag für einen zünftigen Massen-Andrang vor der Bühne. Dass die Drei (genau wie ihre Ostsee-Kollegen The Crushing Caspars) nach einer kleinen Irrfahrt in allerletzter Minute das Marienberger-Festivalgelände angeschwemmt worden, tat ihrer haltlosen Spielfreude keinen Abbruch. Mit Halt Mich Fest, Dummheit Kann Man Nicht Verbieten, So Wie Ihr Seid, Rausch, Greif Ein, den Slime-Cover U.S.A. als Zugabe (und der AC/DC-Kult-Hymne Highway To Hell gleich noch hintendran) navigierten sich Dritte Wahl erstklassig durch 50 Minuten historischer Bandgeschichte, eindrucksvoll, ausdrucksstark und überschwänglich motiviert. Ihr Set bretterte mit der Schnelligkeit eines D-Zuges über die Bühne, selbstbewusst und sympathisch.

Caliban aus Bochum und Essen ist die Worldtour mit den Amis von Biohazard nicht zu Kopfe gestiegen, denn die Metal-Corer zeigten sich in Marienberg bodenständig und locker, musikalisch natürlich so hammerhart wie es ihre Fans erwarteten... Nach Alben wie A Small Boy And A Grey Heaven haben die Jungs aus dem Ruhrgebiet (nicht ganz unberechtigt) den Ruf, eine der härtesten Bands überhaupt zu sein, was sie auch beim 10. With Full Force und nun beim 13. Bizarre live eindrucksvoll zur Schau stellten. Nach der Eröffnung mit Carmina Burana-Intro folgten Druck-Granaten wie Forsaken Horizon, Assassin Of Love, Senseless Fight oder Vicious Circle Schlag auf Schlag, mit einem Sänger, der so schnell war, dass er auf der Bühne regelrecht einen imaginären Kondensstreifen hinter sich herzog. Ohne Frage waren Caliban die brachialste Band des gesamten Abends. Ein Sound-Orkan der Superlative, welcher die Hörerschaft des ganzen Zeltes fühlbar in die Magengrube schlug und hemmungslos in den Eingeweiden wühlte...

Die Bayreuther Elektroniksound-Giganten Das Ich, die mit ihrem dreizehnten Studioalbum anti´christ 2002 (im dreizehnten Jahr ihres Bestehens) den Fans ein weiteres inhaltlich geniales, zynisches und extrem durchdachtes Meisterwerk auf den musikalischen Gabentisch legten, beeindruckten ein Jahr später beim 13. Bizarre auch uneingeweihte Beobachter mit einer imposanten, in ihrem Aufbau einzigartigen Headlinershow! Stefan Ackermann, diesmal in braune Ganzkörperbemalung getaucht, mimte die geschundene Kreatur, heraufgestiegen aus dem menschlichen Sumpf, mit filigranen Gesten und ausdrucksstarken Posen. Klangtechnisch verflochten Das Ich elektronische, sinfonische und industrialgeprägte Elemente in so packender Eigen-Art, dass sich die von ihnen ausgelösten Tanz-Reflexe im Publikum kettenreaktionsmäßig fortsetzen. Wer sich die Mühe machte, den wunderbar ketzerischen, psychologisch durchleuchtenden Lyrics aufmerksam zu lauschen, dem wurde schnell klar: Diese Bandmitglieder haben ihren Ruf als apokalyptische Exzentriker verdient! Ihr (leider Zugabenlos gebliebenes) einstündiges Programm zelebrierte aktuellere Kreationen wie Engel oder Sodom Und Gomorra ebenso theatralisch perfektionistisch wie zeitlose Klassiker a la Kain & Abel, Erde Ruft, Kindgott, Die Propheten oder das hymnenhaft-beschwörende Gottes Tod.

Nach zwei Nächten voller düster-buntgemischtem Live-Vergnügen bleibt nur noch ein einziger Wunsch zu äußern: Die Hoffnung auf ein geselliges Wiedersehen bei einem 14. Marienberger Bizarre!

[Andrea Göbel]