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Landschaftlich
in einer der schönsten Gebiete des westlichen
Erzgebirges gelegen, geizte das 13. Marienberger
Bizarre auch 2003 weder mit sehenswerten Reizen am
Busen der Natur, noch mit musikalischen
Verlockungen, die zwischen Punkrock, Indie-Rock,
Death-Metal, Gothic, EBM, Crossover, Hardcore,
Skatepunk, bis hin zu Mittelalter-Metal breit gefächert
waren. Der Veranstalter Alternatives Zentrum
Marienberg e. V. (ehemals Kniebreche) stand für
organisatorische Professionalität bis ins Detail;
großes Engagement und leidenschaftlicher Einsatz
aller Helfer garantierten einen reibungslosen
Ablauf. Gelände, Umfeld, Versorgung, Stimmung,
alles bestens, (jahrelange Erfahrungen sprachen für
sich...)!
Der Freitag
Die diesjährige Bühnentaufe übernahm der lokale
Death-Metal-Nachwuchs von Putrefaction,
deren Sänger trotz extrem jugendlichen Alters mit
stimmgewaltigen Düster-Grinds überzeugte. Auf
der halbstündigen Playlist standen klanglich voll
in Ordnung gehende Todesblei-Nummern wie Hellfire,
Harmony, Grave oder In The Dark.
Zwar brauchten die fünf
Jungsporne in Sachen Selbstbewusstsein eine kleine
Aufwärmphase, aber spätestens nach zehn Minuten
waren Putrefaction voll in ihrem Element, mit
hohen Ansprüchen an die eigene Musik! Von
brachialem Geknüppel bis hin zu getragenen
Melodie-Einleitungen war das klangliche Spektrum
breit gefächert, die bis zu diesem Zeitpunkt noch
recht wenigen Festivalbesucher zollten den
Annabergern Respekt.
Weiter ging es (nach einer
extrem kurzen Umbaupause - an der die beiden Tage
auch Bizarre-Chef Tom Küchler von der Band Endless
mit körperlichem Groß-Einsatz beteiligt war) mit
den Hermsdorfer Crossover-Mannen von Quickshot.
Jan (Gesang), I.V.O (Bass), Flash (Gitarre),
A-bahn (Drums) und Piet (Turntables) zelebrierten
eine Mischung aus Hardcore, Rock und Hip Hop, die
rhythmisch und basslastig daherkam, mit überwiegend
deutschen und gelegentlich auch englischsprachigen
Texten. Da sich der musikalisch nicht so tolerante
Teil des Publikums in die sommerlich-heiße
Abendsonne vor dem Festzelt verzogen hatte, kann
man die konsequente Art, mit der Quickshot ihr
leidenschaftliches Set durchzogen nur um so mehr
bewundern! Songs wie Hast Du Gedacht, Jekyll &
Hyde oder Can You See How versuchen Dinge zu
beschreiben, ohne dem Hörer inhaltliche Diktate
aufzuzwingen, denn (Zitat): ”Jeder muss seinen
eigenen Weg finden”. Die in ihrer Herkunft aus
den verschiedendsten Musikrichtungen stammende,
1997 gegründete Band, die bisher auf die Veröffentlichungen
Sieh Dich an (2001) und Treibstoff (2003) zurückblicken
kann, machte in Marienberg einen guten Job!
Ebenfalls extrem hartnäckig
in Sachen Live-Durchhaltevermögen zeigten sich Unbounded.
Die Torgauer / Zschopauer, die währen des
gesamten Sets mehrmals mit unverschuldeten
Stromausfällen zu kämpfen hatten, überspielten
die technischen Probleme gekonnt mit sympathischer
Lockerheit. Ihr melodischer, zum Teil gar
erstaunlich dynamischer Rock wurde besonders vom Sänger
mit einem enormen Energie-Aufwand umgesetzt, hier
tobte der Erzgebirger Tanzbär! Kein Wunder
eigentlich, haben Unbounded mit Hell Airways,
Somehow Good Times Disappeared und Reviving doch
mittlerweile schon drei Platten auf dem Markt und
standen nach vier gewonnenen Bandwettbewerben
unter anderem schon mit Beatsteaks, Brightside,
Knorkator, Zombie Joe, Blind Passengers oder
Harmful auf einer Bühne... Textlich drehte es
sich bei den Musikern auch am 8.8. per A Place To
Hide From Real Impressions, Prove That I´m Wrong
oder Massity My Mind um allgemeingültige Inhalte
wie zum Beispiel Alltagsflucht, Selbstüberschätzung
oder die Angst vorm Älterwerden,- in Marienberg
trafen Unbounded auf offene Herzen und Ohren.
Ein energetischer
Faustschlag ins Gesicht waren die soundtechnisch
alles umnietenden Psycho-Metaller von Shatter
aus Marienberg. Nach einem unüberhörbaren
Feueralarm-Intro folgte ein knochenhartes, ja
geradezu gnadenlos tödliches Soundbrett, das
alles wegzublasen drohte, was nicht niet- und
nagelfest war... Turbogeiler Stoff, der
intra-ohr-al konsumiert die heftigsten
Nebenwirkungen in Sachen Headbanging und
Adrenalin-Überschuss nach sich zog! Shatter wüteten
dynamisch, bedrohlich und paranoid, bei
lupenreinem Sound und schweißverschleudernder
Stage-Performance. Wer auf Dampfhammer-Sounds
Marke Sepultura steht kam hier einschränkungsfrei
auf seine Fettbrett-Kosten, nicht zuletzt mit dem
Sepultura-Cover Spit am Ende des Sets, auch bei
dem vorangegangenen bandeigenen Material namens
Hey Amerika (means: Fuck The American Way Of
Life!), Hate Battery, Break The Circle oder Become
Inflame zeigten die menschlichen Dampframmen mal
mit schleichend lauerndem Feingefühl, mal mit
kompromisslos vorandrängendem Knüppelgewitter
deutlich was sie spieltechnisch draufhaben.
Gerade noch rechtzeitig
(nach einer umfangreichen Serpentinen-Odyssey
Richtung Marienberg) eroberten die extra aus
Rostock angereisten The Crushing Caspars
unter jubelndem Beifall gegen 23.20 Uhr die
Bizarre-Stage um mit Information Overload, P.R.
Asshole, Caspars, Remember eine gigantische
HC-Rock´n´Roll-Party zu feiern. Charakterkopf
Snoopy und seine Kumpels rockten wie eine ungezähmte
vierköpfige Wildsau, ohne dabei die herrlich
eingebundene Mimik oder die geliebten
Synchron-Posings zu vernachlässigen. Neben einer
amtlichen Ansage gegen immer mal wieder auf
Caspars-Konzerten auftauchende ungewollte Nazis
gab es mit Don´t Bring Me Down eine
Song-Live-Premiere im Erzgebirge, die kaum
packender hätte sein können! Nach einigen
Umbesetzungen in der Band bleibt lobend zu würdigen,
wie wunderbar die derzeitige Viererbesetzung
mittlerweile organisch zusammengewachsen ist. (Überhaupt
darf man gespannt sein, was das - noch für dieses
Jahr geplante - neue Studioalbum der Rostocker an
Sucht-Faktoren mit sich bringt...).
Beim Marienberger Bizarre
zeigten sich The Crushing Caspars ihrer
wohlverdienten Headlinerrolle mehr als würdig,
die am ersten Tag insgesamt angelockten ca. 800
Festival-Gäste sprechen ohnehin eine deutliche
Sprache!
Der Samstag
Das sympathische Punkrock-Liedgut der vor ca.
einem Jahr gegründeten Gartenterroristen
aus Annaberg brachte auch am zweiten Tag des
Marienberger Bizarre gute Laune unter das
Festzelt-Dach und einen wild getanzten Pogo vor
die Bühne. Aufgrund eines ausgefallenen Bassisten
übernahm der Gitarrist der lokalen Metal-Band
Testimony (nicht zu verwechseln mit der polnischen
Formation!) die Tieftönerarbeit. Auf dem 17.30
Uhr gestarteten halbstündigen Programm standen
unter anderem Superstars (eine ”Hommage” an
Dieter Bohlen), Happy Birthday To Us (ein Ständchen
für sich selbst), eine Abhandlung übers
Fernsehen und ein Musik-Erguss über die Jugend.
Die gesamte Band kam locker & fluffig rüber,
diese Art von Klang-Terrorismus lässt man sich
gerne gefallen!
Wer glaubt, dass
Formationen wie Subway To Sally oder In Extremo
schon alle Bereiche in Sachen Mittelalter-Metal
abgegrast hätten, der wurde mit Morgenstern
eines Besseren belehrt. Die sechs Musiker aus Bad
Salzungen streiften zwar einige Thematiken der
oben genannten Vorbilder, betrachteten diese aber
textlich aus einer oft anderen, ganz eigenen
Sicht. Auch von der Instrumentierung her gibt es
gravierende Unterschiede, kommen Morgenstern doch
neben der üblichen Rock-Variante (Gitarre, Bass,
Schlagzeug) ohne typische
Mittelalter-Klangerzeuger aus (von Schalmei/Flöte
einmal abgesehen). Bei Bruder Tod, Abwärts,
Rausch, Inquisition, Feuer, Frei oder Im Spiegel
fanden sich zwar nur wenige Tänzer, die Mehrheit
der Zuschauer allerdings erlag dem Bann von Sänger
Diabolicus, welcher sich in Sachen Performance als
einziger in der Band richtig abstrampelte.
Klanglich gab es an der Leistung seiner
Mitstreiter nichts zu kritteln, aber etwas mehr
Bewegung aller Musiker hätte den guten
Gesamteindruck sicher gravierend verstärken können,-
einer für alle, alle für einen!
KJU: aus Hannover
(beim 13. Bizarre als Ersatz für Skeletor
eingesprungen) hatten mit ihrem faszinierend
abwechslungsreichen und magnetisch wirkendem
Independent-Rock schon beim 2003er With Full Force
Festival große Aufmerksamkeit erregt. An der
einschlagenden Gesamtwirkung von Tobi (Vocals),
Sven-Olaf (Bass), Kord (Guitar) und Peter (Drums)
konnte in Marienberg selbst eine mitten im Set
zerbrochene Schlagzeug-Fußmaschine nichts ändern.
(Kommentar Tobi: ”Wir gucken auf den Monitoren
inzwischen Sportschau!”) In regelrechter
”Andacht” lauschten die inzwischen zahlreicher
gewordenen Zelt-Insassen so spektaKJU:lären
Barriere-Brechern wie 14 Lines, Oxygen, The Switch,
Temper, Six Fold oder Burn The Ashes. Während des
gesamten 40 minütigen Programms hielten die vier
Hannoveraner - wie aus einem Guss - spielerisch
ein gleichbleibend hohes Niveau und machten ihren
Gig so zu einem echten Marienberger
Aha-Erlebnis... Ihr Longplayer namens The Pieces
Fit kann somit allen zwischen Draufgängertum und
Anspruch pendelnden Klang-Phantasten nur wärmstens
ans Entdecker-Herz gelegt werden!
Kamikaze 52 aus der
Musik-Hauptstadt Berlin, mit einer starken (mal
trashigen, mal lasziven, mal divenhaften) Frau an
der Front boten ebenfalls überdurchschnittliche
Qualität, freakige Eigenbrödlerei, serviert als
kompromissloser Intensiv-Genuss... Giftige
Gitarrenriffs, griffige Samples, alles überollende
Bässe und ein Schlagzeug, das ohne Mitleid den
Rhythmus diktierte, wenn nicht gerade ruhigere
Zwischenparts den nächsten Frontal-Angriff
gekonnt verzögerten.
Teils schmeichelnd melodiös, teils dunkel-pompös,
oft wohltuend unberechenbar, ohne Ausnahme
bewegten sich Kamikaze 52 abseits von langweiligem
Einheitsbrei. Bei unterhaltsam dargebotenem
Eigenmaterial wie Love Machine, War, Hellcat,
Desire, Scream For Me outeten sich die Berliner
als ein schriller Paradiesvogel der deutschen
Underground-Szene.
Dritte Wahl, das
schon seit Jahren Punk-Metal Kultstatus besitzende
Rostocker Kumpel-Trio, sorgte am Samstag für
einen zünftigen Massen-Andrang vor der Bühne.
Dass die Drei (genau wie ihre Ostsee-Kollegen The
Crushing Caspars) nach einer kleinen Irrfahrt in
allerletzter Minute das Marienberger-Festivalgelände
angeschwemmt worden, tat ihrer haltlosen
Spielfreude keinen Abbruch. Mit Halt Mich Fest,
Dummheit Kann Man Nicht Verbieten, So Wie Ihr
Seid, Rausch, Greif Ein, den Slime-Cover U.S.A.
als Zugabe (und der AC/DC-Kult-Hymne Highway To
Hell gleich noch hintendran) navigierten sich
Dritte Wahl erstklassig durch 50 Minuten
historischer Bandgeschichte, eindrucksvoll,
ausdrucksstark und überschwänglich motiviert.
Ihr Set bretterte mit der Schnelligkeit eines
D-Zuges über die Bühne, selbstbewusst und
sympathisch.
Caliban aus Bochum
und Essen ist die Worldtour mit den Amis von
Biohazard nicht zu Kopfe gestiegen, denn die
Metal-Corer zeigten sich in Marienberg bodenständig
und locker, musikalisch natürlich so hammerhart
wie es ihre Fans erwarteten... Nach Alben wie A
Small Boy And A Grey Heaven haben die Jungs aus
dem Ruhrgebiet (nicht ganz unberechtigt) den Ruf,
eine der härtesten Bands überhaupt zu sein, was
sie auch beim 10. With Full Force und nun beim 13.
Bizarre live eindrucksvoll zur Schau stellten.
Nach der Eröffnung mit Carmina Burana-Intro
folgten Druck-Granaten wie Forsaken Horizon,
Assassin Of Love, Senseless Fight oder Vicious
Circle Schlag auf Schlag, mit einem Sänger, der
so schnell war, dass er auf der Bühne regelrecht
einen imaginären Kondensstreifen hinter sich
herzog. Ohne Frage waren Caliban die brachialste
Band des gesamten Abends. Ein Sound-Orkan der
Superlative, welcher die Hörerschaft des ganzen
Zeltes fühlbar in die Magengrube schlug und
hemmungslos in den Eingeweiden wühlte...
Die Bayreuther
Elektroniksound-Giganten Das Ich, die mit
ihrem dreizehnten Studioalbum anti´christ 2002
(im dreizehnten Jahr ihres Bestehens) den Fans ein
weiteres inhaltlich geniales, zynisches und extrem
durchdachtes Meisterwerk auf den musikalischen
Gabentisch legten, beeindruckten ein Jahr später
beim 13. Bizarre auch uneingeweihte Beobachter mit
einer imposanten, in ihrem Aufbau einzigartigen
Headlinershow! Stefan Ackermann, diesmal in braune
Ganzkörperbemalung getaucht, mimte die
geschundene Kreatur, heraufgestiegen aus dem
menschlichen Sumpf, mit filigranen Gesten und
ausdrucksstarken Posen. Klangtechnisch verflochten
Das Ich elektronische, sinfonische und
industrialgeprägte Elemente in so packender
Eigen-Art, dass sich die von ihnen ausgelösten
Tanz-Reflexe im Publikum kettenreaktionsmäßig
fortsetzen. Wer sich die Mühe machte, den
wunderbar ketzerischen, psychologisch
durchleuchtenden Lyrics aufmerksam zu lauschen,
dem wurde schnell klar: Diese Bandmitglieder haben
ihren Ruf als apokalyptische Exzentriker verdient!
Ihr (leider Zugabenlos gebliebenes) einstündiges
Programm zelebrierte aktuellere Kreationen wie
Engel oder Sodom Und Gomorra ebenso theatralisch
perfektionistisch wie zeitlose Klassiker a la Kain
& Abel, Erde Ruft, Kindgott, Die Propheten
oder das hymnenhaft-beschwörende Gottes Tod.
Nach zwei Nächten voller
düster-buntgemischtem Live-Vergnügen bleibt nur
noch ein einziger Wunsch zu äußern: Die Hoffnung
auf ein geselliges Wiedersehen bei einem 14.
Marienberger Bizarre!
[Andrea Göbel]
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